Aktuelles zum Verkehrsunfallrecht

 

BGH , Urteil vom 4. April 2023 – VI ZR 11/21-

Zur Reichweite des Vertrauensgrundsatzes hinsichtlich des verkehrsgerechten Verhaltens eines Fußgängers beim Überqueren der Fahrbahn.

Nach dem im Straßenverkehr geltenden Vertrauensgrundsatz kann ein Verkehrsteilnehmer, der sich verkehrsgemäß verhält, damit rechnen, dass ein anderer Verkehrsteilnehmer den Verkehr nicht durch pflichtwidriges Verhalten gefährdet, solange die sichtbare Verkehrslage zu keiner anderen Beurteilung Anlass gibt. Der Kraftfahrer ist dabei grundsätzlich auch bei breiteren Straßen verpflichtet, die gesamte Straßenfläche vor sich zu beobachten. Dementsprechend muss ein Kraftfahrer am Fahrbahnrand befindliche oder vor ihm die Fahrbahn überquerende Fußgänger im Auge behalten und in seiner Fahrweise erkennbaren Gefährdungen Rechnung tragen. Er braucht aber weder damit zu rechnen, dass ein erwachsener Fußgänger versuchen wird, kurz vor seinem Fahrzeug die Fahrbahn zu betreten, noch darauf gefasst zu sein, dass ein Fußgänger, der beim Überschreiten der Fahrbahn vor oder in der Mitte der Straße anhält, unerwartet weiter in seine Fahrbahn laufen werde, solange er bei verständiger Würdigung aller Umstände keinen Anlass hat, an dem verkehrsgerechten Verhalten des Fußgängers zu zweifeln.

 

 

LG Duisburg, Urteil vom 18.01.2023 -8 O 118/22-

Haftungsquote bei einem Rangierunfall

1. Wartet ein Lkw-Fahrer längere Zeit vor einer Schranke, bis sich diese bei der Ausfahrt von einem Parkplatzbereich öffnet und fährt sodann in einem Bogen nach rechts an, ohne sich zu vergewissern, ob in der Zwischenzeit ein Fahrzeug neben ihm angehalten hat, hat er eine entscheidende Unfallursache mit einem Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO gesetzt, wenn er sodann beim Anfahren mit einem anderen Pkw kollidiert.

2. Der Fahrzeugführer des Pkw hat aber auch die Betriebsgefahr seines Kfz durch die Abstellposition direkt neben dem Lkw vor einer Schranke i.V.m. einem Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot in einem derartigen Umfang erhöht, dass diese neben dem Verursachungsbeitrag des Lkw bei der Haftungsabwägung nach § 17 StVG mit einzustellen ist.
3. Der Verursachungsbeitrag des Lkw mit der höheren Betriebsgefahr überwiegt und führt zu einem Haftungsanteil von 70%, während die durch die Abstellposition erhöhte Betriebsgefahr des Pkw mit 30% zu berücksichtigen ist.